FDP-Fraktion im Rat der Stadt Gelsenkirchen Haushaltsrede am 25. März 2021 zum Haushalt 2021

Sehr geehrter Frau Oberbürgermeisterin, liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren,
Ich möchte ein Zitat von Hermann Hesse an den Anfang meiner Rede stellen.
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“.

Keine Angst, ich werde Sie jetzt nicht mit poetischen Exkursionen langweilen, aber dieser Satz hat für mich und die neue FDP-Fraktion im Rat der Stadt Gelsenkirchen in mehrfacher Hinsicht Bedeutung. Für mich ist es ausgesprochen spannend, oft aufregend, zuweilen mühsam aber immer außergewöhnlich interessant, mich dieser neuen Aufgabe widmen zu dürfen. Gelernt habe ich und meine Fraktionskollegen in diesen ersten Wochen viel. Das ist ein Stück weit zauberhaft.

Dennoch muss ich Ihnen an dieser Stelle auch gestehen: Als ich im Dezember das erste Mal diesen über 1000 Seiten starken Haushaltsentwurf in den Händen hielt, erschreckte mich das reale Gewicht dieser Abhandlung. Noch mehr beängstigte mich jedoch die erdrückende Mächtigkeit des Inhalts.

Ich gebe zu: Dem Anfang dieser Beziehung wollte ich reflexartig jeglichen Zauber absprechen.

Dass das nicht passierte, dafür muss ich an dieser Stelle vielen Menschen in Gelsenkirchen danken. Ein ganz großer Dank der gesamten FDP-Fraktion geht an die Verwaltung und im besonderen an das Team der Kämmerei, an die Kollegen und Kolleginnen von den Grünen und der Groko, die immer ein offenes Ohr hatten, die uns „Zauberlehrlinge“ unsere unzähligen Fragen immer gerne beantworteten.

Und wir hatten viele. Schließlich ging es in diesem sehr besonderen Jahr, das von einer schrecklichen und bisher in diesen Regionen so nicht gekannten Pandemie getroffen wurde, auch darum, auf eine häufig getriebene Bundes-Politik zu reagieren und kommunal mit einschneidenden Folgen kalkulieren zu müssen. Wir stecken in einer angespannten Wirtschafts- und Finanzlage. Wir Liberalen haben keine Zauberformel dagegen. Wir wissen aber: Wenn wir die künftigen Generationen nicht weiter belasten wollen, haben wir uns in der Haushaltspolitik zu disziplinieren. Von daher haben wir Liberalen versucht, sehr vorsichtig an Stellschrauben zu drehen, sehr genau zu schauen, wo wir in dieser durch  die Corona-Pandemie sehr angespannten Haushaltslage wirklich etwas verbessern können.

Unsere Zielvorgabe für die politischen Entscheidungen der kommenden Jahre folgt daher dem Handlungskonzept „Zukunftsorientiert, mutig, visionär“.  Wir möchten Gelsenkirchen fit machen für die Zukunft. Noch fitter machen für die Digitalisierung. Wir fordern die konsequente Umsetzung der digitalen Verwaltung, eine Benutzer freundliche Modernisierung des Rats-Informationssystems, um die Kommunikation und Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern zu verbessern. Wir wünschen einen möglichst zeitnahen Einsatz einer Corona-Kontakt-Verfolgungs-App, um den Bürgern und Bürgerinnen, aber auch den Unternehmern und Unternehmerinnen  nach einem Jahr Isolation wieder eine Perspektive in Richtung Normalität zu geben.

In diesem Bereich plädieren wir Liberale ganz klar auf mehr und mutigere kommunale Eigenverantwortung. Wir müssen Unternehmen und damit Arbeitgeber in unsere Stadt locken. Aus diesem Grund haben wir im Haushalt die Stelle eine Verwaltungslotsen einsetzen lassen. Eine Stelle übrigens, die keine neuen Kosten generiert, sondern aus dem bestehenden Stellenpool rekrutiert wird. Eine Schnittstelle zwischen Unternehmen und Verwaltung, um zukünftig Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und aufkommende Fragen schnell und unbürokratisch zu beantworten. Gerade nach dem Corona-bedingten Einbruch bei den Gewerbesteuereinnahmen, soll die Stadt Gewerbetreibenden innovative, individuelle Unterstützung aus einer Hand anbieten, um einen nervigen „Ämtermarathon“ für investitionsfreudige Unternehmen zu vermeiden.

Wir Liberale wollen eine Willkommenskultur in Gelsenkirchen implementieren, wollen einen neuen Strukturwandel, weg vom bundesweit belächelten #401. Daher wird sich die Stadt auf Drängen der FDP und - das muss ich hier einmal betonen - zu meiner ganz besonderen Freude mit Unterstützung von SPD, CDU, Grünen und WiN, mit der RWTH Aachen in Verbindung setzen und sich um eine Teststrecke für den innovativen upBUS bewerben.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Oberbürgermeisterin, ich bin der festen Überzeugung, dass wir hier und heute genau diese Projekte brauchen. Ich lade Sie ein: Schauen Sie einmal auf Städte wie zum Beispiel Koblenz, die zunächst gegen großen Widerstand von der eigenen Bevölkerung bis zur Unesco eine Seilbahn über den Rhein gebaut hat. Inzwischen gibt es eine breite Fan-Gemeinde. Denn die Seilbahn hat sich als Tourismus-Magnet erwiesen, hat Interessenten aus der gesamten Welt ins beschauliche Rheintal gelockt und eine gänzlich neue Perspektive, eine komplett andere Raumwahrnehmungsebene geschaffen. Gehen sie mit mit gedanklich auf eine Reise: Man schwebt in himmlischen Sphären über die Serengeti des Reviers und beobachtet die Löwen der Zoom-Erlebniswelt von oben. Dieser Vorstellung liegt doch wahrlich ein wunderbarer Zauber inne.

Der Tourismus muss zu einem größeren Wirtschafts- und Arbeitsmarktmotor werden. Nordsternpark, IGA 2027, Zoom-Erlebniswelt und MiR sind nur einige Impulsgeber. Die Marketingstrategien der Stadt müssen weiterentwickelt und verstetigt werden, damit neben der Hotellerie und Gastronomie auch der Einzelhandel von den Besucherinnen und Besuchern profitieren kann.

Denn eine der größten Mammutaufgaben, die wir nach der Corona-Pandemie meistern müssen, lautet Stärkung des Einzelhandels und die Etablierung einer Event- und Erlebnisszene in den Zentren rund um die Bahnhof- und Hochstraße. Ohne nennenswerte Investitionen wird es nicht gelingen. Daher ist es gut, wichtig und richtig, dass die Stadt 900.000 Euro aus dem „Sofortprogramm zur Stärkung unserer Innenstädte und Zentren in Nordrhein-Westfalen“ doch noch beantragt hat.

Wir Liberalen werden in Zukunft sehr genau hinschauen, ob Fördergelder von Bund und Land abgerufen werden. Die Kassen sind leer und die Aufgaben groß. Bildung wird immer mehr zum Schlüssel der Zukunftschancen kommender Generationen. Mobilität wird zum Kern regionaler Umwelt- und Entwicklungsfragen. Die Attraktivität unseres Lebensumfelds wird zur Standortfrage. Hierzu zählen ein attraktiver Wohnungsbau, ausreichend Grün- und Sportflächen sowie die wohnortnahe Betreuung und Beschulung unserer Kinder. Und natürlich die Kultur. Dass es ein großes, parteienübergreifendes Ansinnen ist, die vielfältige Kulturszene in dieser Stadt nach der Pandemie zu erhalten und zu stärken, haben die Haushaltsberatungen beeindruckend gezeigt.

Wir Freie Demokraten setzen auf die Bereitschaft von Politik und Verwaltung, den Mut zu finden, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen. Wir müssen aufhören, an den Folgen von Fehlplanung und Vernachlässigungen aus der Vergangenheit oberflächlich herumzudoktern. Die Groko hat einen neuen politischen Stil versprochen, deswegen begrüße ich es, dass man von ihrer Seite in den Haushaltsverhandlungen auf uns zu gekommen ist. Aus diesem Grund und weil wir wirklich konstruktive Gespräche geführt haben, weil die FDP sich mit vielen Vorschlägen der Groko identifizieren kann, werden wir dem Haushalt 2021 zustimmen. Es ist ein Anfang, einer der positiv stimmt, einer, dem ein Zauber innewohnt.

Glückauf! Ihre Susanne Cichos
(Fraktionsvorsitzende)